Die andere Seite des Zauns

Mittwochabend und endlich ist es so weit: Mein Liebster und ich haben uns aufgemacht, um die so ziemlich lustigsten drei Quatschmacher aller Zeiten mit ihrem neuesten Coup on Stage anzusehen. (Als ich sie das letzte Mal sah, war das witzigerweise der ungefähr unterhaltsamste verkaterte Samstagabend, den ich je verbracht habe.) Es ist ein großartiger, unterhaltsamer Abend und es ist außerdem schon so warm, dass wir ohne Jacke mit dem Fahrrad gekommen sind. Da es in der Veranstaltungshalle entsprechend stickig ist, verbringen wir die Pause, wie die meisten anderen auch, vor der Tür. Einfach vor der Tür dieses Mal: Ich habe hier schon oft Veranstaltungen besucht, doch all die vergangenen Male habe ich die Pause, ebenso wie die verbleibenden Minuten, bevor es losging - und manchmal auch einfach mittendrin eine Zeit lang - immer in dem kleinen Hinterhof verbracht, abgetrennt durch einen niedrigen Zaun - dort, wo man rauchen durfte. Dort passierte dann, was eigentlich immer passierte, wenn ich ausging: Ich rauchte mehr, weil ich trank und ich trank mehr, weil ich rauchte.
Jetzt stehe ich hier, auf der anderen Seite, mit dem besten aller Freunde und atme einfach. Meine Gedanken driften ein bisschen in die Vergangenheit und ich lasse den Blick schweifen. Dann entdecke ich J. Dort steht sie mit ihrem Freund, raucht. Wahrscheinlich trinken sie Bier, ich sehe es nicht, denn ich schaue schnell weg. Ich bin ziemlich sicher, dass sie mich gesehen hat.
Ich weiß nicht so recht, was ich fühle.

Wir waren eine verschworenen Gemeinschaft: J., ich und der Alkohol. Bei der Arbeit hatten wir uns kennengelernt, beim Trinken hatten wir Freundschaft geschlossen. Wir haben Nächte durchgetrunken, uns aus unseren Tagebüchern vorgelesen, uns unsere Freundschaft beteuert. Und beim Trinken trennten sich unsere Wege auch wieder. Das Warum? dazu ist mit der Erinnerung daran irgendwie untergegangen. Was blieb, war die Gewissheit, dass wir uns nicht gut taten. Eine Freundschaft wie ein Brandbeschleuniger, während das Haus längst lichterloh in Flammen stand.
Das letzte ernsthafte Gespräch haben wir mit einem schlimmen Kater geführt, eigentlich eher noch betrunken. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich gerade angefangen, mich mit der Möglichkeit des Nüchternwerdens auseinanderzusetzen, mich aber gerade wieder mehr oder weniger davon überzeugt, dass bei mir alles im grünen Bereich war. Mein Ziel hieß damals noch: Keine Kater mehr. Und da saß ich, in der Frühsommersonne, mit meinen Yogahosen und einem Kopf wie eine überreife Melone.
Wir hatten am Abend zuvor einen großen Krach beigelegt, natürlich mit unzähligen Prosts. J. hatte bei uns übernachtet, denn der Taxifahrer hatte sie allein nicht mitnehmen wollen. Nun saßen wir hier, bereits nachmittags, J. trank Konter-G&T, und wir sprachen darüber, wie viel Planung das Leben als ernsthafte Trinkerin erfordert: Kater, die ganze Tage verschlingen, und Montage, die nicht selten noch reichlich wackelig sind. Und das Trinker eben trotzdem einfach die unterhaltsameren Menschen seien. Wir sprachen nicht darüber, dass ernsthaftes Trinken möglicherweise wirklich eine ernste Sache war.

Danach sahen wir uns nur noch wenige Male; vielleicht war es sogar nur noch das eine Mal, ich bin mir nicht sicher. Wir betranken uns fürchterlich und irgendwann stand J. wütend auf und ging. Ich verstand nicht, weshalb, und auch der Freund, der uns begleitet hatte, konnte es nicht sagen. Am Ende war es vermutlich aber auch egal.

Ich habe danach noch viel über J. nachgedacht und auch heute frage ich mich manchmal, wie es ihr so geht, ob sich jemand um sie sorgt und mit ihr so offen spricht wie der Liebste mit mir. Vermisst habe ich sie nie.

Es fühlt sich gut an, auf der anderen Seite des Zauns zu stehen. Die Luft und der Ausblick sind so viel besser.

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