Alkoholabstinenz und Entzugserscheinungen in niedlich

Abstinenz ist ja so eine Sache: Manche sind Abstinenzler aus Überzeugung und quasi immer schon, anderen "schmeckt es einfach nicht" (ja, auch das soll es geben) und wieder andere sind, nun ja, gewissermaßen vom eigenen Überlebenstrieb (und damit meine ich Leben auch im Sinne von seelisch gesund) dazu gezwungen.
Ich gehöre definitiv in die letzte Kategorie.

Damit einher geht auch der Umstand (zumindest in meinem Fall), dass diese Entscheidung recht plötzlich, aus einer Not heraus getroffen wurde. Und das wiederum resultiert irgendwie auch in einen kleinen Schock: Man schmeißt sich ja quasi selbst ins kalte Wasser. Cold Turkey sozusagen.

Wenn eine eine Reise tut, bereitet sie sich gewöhnlich ja ein bisschen vor, informiert sich also, was einen da in der Fremde erwartet. Ich saß derweil quasi schon im Zug, aber nun ja, Google funktioniert inzwischen ja zum Glück auch unterwegs. Doch wehe dem, der "Alkoholentzugserscheinungen" oder ähnliches durch die Suchmaschine jagt! Von Schweißausbrüchen und zitternden Händen ist da die Rede, sogar lebensgefährlich soll so ein Alkoholentzug bisweilen werden. Und tatsächlich - so in etwa hatte ich mir Rehab ja selber auch immer vorgestellt. Ich meine, was aus Amy Winehouse geworden ist, dürfte ja schließlich allgemein bekannt sein und die sah in den letzten Jahren ja nun wirklich ziemlich abgewrackt aus.
Keine Frage, all dies gehört ebenso zu den Gesichtern des Alkoholismus, des Alkoholentzugs und der Abstinenz. Aber es ist eben nur ein Teil: Den meisten "problematischen Trinkern" wird kaum der kalte Schweiß ausbrechen, wenn sie das Trinken aufgeben, und sie werden auch keine Schwierigkeiten haben, sich die Krawatte oder die Laufschuhe zuzubinden. Dennoch werden sie spüren, dass im System der Alkohol plötzlich fehlt.

PAWS

Im Englischen gibt es dafür einen Begriff: Man spricht vom Post-acute-withdrawal syndrome, kurz PAWS. "PAWS" hört sich irgendwie viel erträglicher an als "Alkoholentzugssymptome" oder dergleichen, schließlich bedeutet es ja auch "Pfoten". Passt doch auch irgendwie: Der Alkohol hinterlässt seine Spuren.
PAWS ist kein ausschließlich auf den Alkoholentzug bezogenes Syndrom; es tritt auch beim Entzug von Opiaten, Medikamenten oder anderen süchtigmachenden Substanzen auf.


Symptome des Post-acute-withdrawal Syndromes (PAWS):

psychosoziale Dysfunktionalität
Anhedonie (man ist unfähig, Lust und Freude zu empfinden)
Depression
Beeinträchtigung der zwischenmenschlichen Kompetenzen
zwanghaftes Verhalten
Schuldgefühle
Pessimismus
Konzentrationsschwierigkeiten
Antriebslosigkeit
Craving (= starkes Verlangen nach der entzogenen Substanz, z. B. Alkohol)
Unfähigkeit, klar zu denken
Gedächtnisschwierigkeiten
emotionale Überreaktionen oder Gefühllosigkeit
Schlafschwierigkeiten
Koordinationsschwierigekeiten
Stressempfindlichkeit
erhöhte Schmerzwahrnehmung
Panikattacken
Angsstörung
Schlafstörungen, z. B. suchtassoziierte Träume von Rückfällen, Gebrauch etc.

Die Symptome des PAWS treten in der Regel nicht durchgängig, sondern sozusagen in Schüben auf; manche Betroffene berichten davon, dass die Phasen zyklisch auftreten, wobei die Intervalle mit der Dauer der Abstinenz länger werden und die Heftigkeit der Symptome abnimmt. Bestimmte Trigger können sie auslösen oder verstärken, wie etwa Stress, Multitasking, Frustration, zwischenmenschliche Konflikte oder auch sehr hohe und/oder unrealistische Ansprüche der Betroffenen an sich selbst.


Ich finde, es liegt irgendwie auf der Hand, dass diese Symptome sehr unterschiedlich stark und in verschiedenen Zusammensetzungen auftreten - und es ist sicher auch schwierig, die beschriebenen Zustände einwandfrei der Tatsache zuzuordnen, dass man nun aufgehört hat, Alkohol zu trinken.
Jeder Alkoholiker ist einzigartig (Was für ein Satz!) und mit ihm seine Sucht: Jeder trinkt aus seinen eigenen Gründen in seinem Tempo mit seinen Wünschen und Projektionen. Wen kann es da wundern, dass auch jeder Entzug ein wenig anders ist?
Es ist eben doch ein bisschen wie mit der Liebe: Alle kennen das Gefühl und doch ist jede einzigartig. Und so tut paradoxerweise auch jede Trennung irgendwie ein bisschen anders weh.

Ein paar Symptome sind aber doch recht eindeutig, wie ich finde - und sie treten definitiv auf. Am auffälligsten und am einfachsten identifizierbar ist das Craving, also der starke Wunsch zu trinken. Damit hatte ich gerechnet - und ich wurde doch überrascht. Zunächst einmal positiv überrascht, denn in vielen Situationen, in denen ich klar erwartet hatte, unbedingt trinken zu wollen (auf Konzerten und Partys, in Kneipen), viel mir der Verzicht erfreulich leicht. Ich hätte normalerweise einfach ein Bier bestellt, und nun bestellte ich eben eines ohne Alkohol. Na und?
Auf der anderen Seite gab es Abende, ganz normale Abende, unter der Woche, an denen ich nach einem ätzenden Arbeitstag nach Hause kam und mir UNFASSBAR GERN ein relativ riesiges Glas Weißwein genehmigt hätte. Um dann die ganze Flasche auszutrinken.

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