Trinkt aus, wir reden

Es ist das Jahr 2017, ich bin eine vor einiger Zeit 32 Jahre alt gewordene Frau und vor genau 47 Tagen habe ich das Weinglas weggestellt. Okay, so viel zur Titelanalyse.

Auf geht's zur nächsten Ebene: Es ist das Jahr 2017, und, Überraschung, es hat so seine Tücken, 32 und weiblich zu sein. Es hat vielleicht auch einfach so seine Tücken, ich zu sein. Aber mehr dazu später.

In dieser Gesellschaft, in der wir hier so fröhlich vor uns hin leben, gibt es ein paar Dinge, die man ganz grundsätzlich einfach nicht bringen kann: Gewalt. (Man schlägt keine Leute.) Arbeitslos werden. (Faul! Gesellschaftlicher Beitrag! Krieg das auf die Reihe!) Keinen Alkohol trinken. (Warum? Bist Du schwanger? Gibt es einen Grund? Bitte rechtfertige Dich!) Ein Alkoholproblem haben. (Ohne Worte. Hast Du nicht. Bist Du nicht.)

Wer ein Problem mit dem Trinken hat, hat sich nicht im Griff, da sind sich alle einig. Kontrollverlust, Willensschwäche, überhaupt sind Alkoholprobleme etwas für Verlierer.
Und so sehen Alkoholiker natürlich auch alle aus: Sie müssen entgiftet und gesäubert werden, sozial rehabilitiert und langsam wieder in die Gesellschaft eingegliedert, während ihre Hände zittern, sie sich einnässen und ihr Atem stinkt.
Und weil das ganz offensichtlich das Bild ist, das in unserer Gesellschaft zum Thema Alkoholismus vorherrscht (jedenfalls, wenn man Google so fragt, und das habe ich getan), müssen wir ganz dringend etwas tun: Wir müssen darüber reden.

Ich bin nur eine und ich kann nur für mich sprechen. Aber während ich in diesen neuen Schuhen, die ich erst einmal einlaufen muss, die Straße "Nüchternheit" herunterlaufe, ohne Glas in der Hand (naja, gut, vielleicht doch ein hübsches, geschliffenes Glas mit Eis und Rhabarbershrub - man muss den Stil ja nicht gleich mit verabschieden), finde ich es unglaublich erleichternd und hilfreich zu lesen, dass und wie andere diesen Weg gehen. Ich weiß dann, ich bin auf meinen wackeligen Hacken nicht alleine.
Glücklicherweise ist das Internet nicht auf dieses wahnsinnig fortschrittliche Deutschland beschränkt: Deutschsprachige Beiträge zu dem Thema scheinen aus-nahms-los in dramatischer Schwarz-weiß-Optik mit geschmackloser Typografie gehalten und sind dermaßen klischeeüberfrachtet, dass ich am liebsten sofort eine gut gekühlte Flasche Sauvignon blanc öffnen möchte. Vielleicht rettet mir am Ende also doch das Anglistikstudium ein bisschen den Hintern, denn weiter draußen, in der sogenannten "Sober Blogosphere", gibt es viele kluge Frauen (und sicher auch Männer), die ihre Erfahrungen mit mir teilen. Und Teilen ist etwas, das dem Menschen im Kern zueigen ist, das glaube ich wirklich - denn wer nicht teilen kann, ist arm, das wissen wir schon vom Nikolaus.

Jetzt, Tag 47, fühle ich mich allmählich wieder wie ein Mensch. Sehr viel reicher als zuvor. Und ich möchte mit Euch teilen.

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